Vertriebliche Funktionen zentralisieren
Chancen und Risiken
Gunter Hemmer
Gerade in Zeiten des unternehmerischen Erfolges und wirtschaftlichen Booms entwickeln dezentrale Vertriebseinheiten oder Niederlassungsstrukturen häufig eine enorme informelle Stärke und Eigenständigkeit. Die regionalen „Fürstentümer“ werden häufig von operativ sehr starken unternehmerischen Persönlichkeiten geführt.
Obwohl sich vielfach Prozesse verselbständigen und regional auf die Marktanforderungen angepasst werden, sind die gewachsenen dezentralen Vertriebseinheiten häufig die Basis für den gesamten wirtschaftlichen Erfolg der Vergangenheit.
Bleiben die vertrieblichen Erfolge aus - aus welchen Gründen auch immer - gehen die Markteinteile und das Wachstum zurück, ist das Management gefordert schnell die richtigen Maßnahmen zur Umkehr einer solchen Entwicklung zu definieren und umzusetzen.
Konzepte zur Optimierung dezentraler Vertriebsorganisationen beinhalten häufig auch die Zentralisierung und Zusammenführung der vertrieblichen Unterstützungsfunktionen. Dabei sind unterschiedliche Ausprägungen in der Praxis anzutreffen:
- Vollständige Zentralisierung aller Unterstützungsfunktionen
- Zentralisierung der rein administrativen Funktionen die keinen Kundenkontakt /-relevanz haben (bspw. Fakturation, Bestellwesen etc.)
- Aufbau zentraler/dezentraler Shared Service Funktionen für dezidierte Funktionen wie Order to cash, Customer Service, Travel Management etc.
- Virtuelle Supportorganisationen (zentral geführt, aber dezentral allokiert)
Welches Konzept ist am Ende das Richtige und welcher Grad an Zentralisierung macht für das Unternehmen den meisten Sinn?
Wenn es die einzig richtige Organisation gäbe, hätte vermutlich sehr viele Firmen eine sehr ähnliche Organisation. Phil Rosenzweig hat in seinem Buch „The Halo Effect“ in sehr treffender Weise beschrieben, dass gleiche strategische Maßnahmen in verschiedenen Unternehmen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen können - vom Aufstieg zum Weltmarktführer auf der einen Seite bis zum völligen Absturz an der anderen.
Dies gilt m.E. auch für die Gestaltung und Ausrichtung vertrieblicher Supportfunktionen.
Unabhängig vom Grad einer geplanten Zentralisierung der vertrieblichen Unterstützungsfunktionen gehen die Ansichten über Chancen und Risiken teilweise erheblich auseinander.
Stellt man in dezentral orientierten Vertriebsorganisationen die Frage über mögliche Zentralisierung von Supportfunktionen folgen sehr häufig Argumente wie die starke individuelle Kundenbindung der dezentralen Back-Offices, die intensive und sehr gute Zusammenarbeit im Team zwischen Innen- und Außendienst sowie die über Jahre gewachsen regionalen Kenntnisse bis hin zur regionalen Sprache.
Geht man etwas tiefer und fragt Organisationen die Supportfunktionen bereits verlagert und zusammengefasst haben, wie viele Kunden tatsächlich aufgrund einer solchen Zentralisierung dem Unternehmen den Rücken zugekehrt haben, stellt man fest, dass dies doch eher die Ausnahme ist.
Eine Zentralisierung von vertrieblichen Supportfunktionen oder -einheiten, in welcher Ausprägungsstufe auch immer, ist dennoch immer eine Operation am offenen Herzen, da Funktionen, die in der vertrieblichen Kette liegen und damit direkt oder indirekt Kundenrelevanz haben, angefasst werden. Wenn die Kundenbeziehung schon belastet war kann eine schlecht umgesetzte Zentralisierung durchaus das Fass zum Überlaufen bringen und dazu führen Kunden dauerhaft zu verlieren. Daher gilt es sich der Chancen und Risiken einer solchen Veränderung bewusst zu sein.
Chancen der Zentralisierung:
- Konsistente Umsetzung der Unternehmensstrategie
- Deutlich bessere Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten durch direkten Zugriff
- Einheitliche zentralisierte Prozesse
- Einheitliches Ausbildungs- und Qualitätsniveau und besserer Einsatz von Spezialisten
- Geringere Kosten durch Synergie- und Skaleneffekte bzw. frei werdende zusätzliche vertriebliche Ressourcen
- Geringere Kosten für Büro und Infrastruktur
- Vermeidung unterkritisch besetzter dezentraler Einheite
Risiken einer Zentralisierung:
- Verlust von dezentralen Leistungsträgern
- Abwandern von Führungskräften aufgrund des Verlustes der „General Manager Funktion“
- Verlust von Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit
- Verlust der individuellen regionalen Kundenbetreuung und Kundenbindung
- Verlust des regionalen Markt- und Kundenknowhows
Rein dezentral organisierte Unternehmen mit eigenständigen dezentral geführten Standorten wird es m.E. vermutlich in dieser Form künftig nicht mehr geben. Die Erfahrung zeigt wie schwer es ist Niederlassungen unter der Leitung von regionalen General Managern zu steuern. Schon die Anforderungen an Sicherheit, Qualität und Compliance fordern einen hohen Grad zentraler klarer Strukturen.
Nach meiner Erfahrung als langjähriger verantwortlicher Manager von dezentralen und zentralen Einheiten aber auch als Berater im Rahmen von Projekten zur Neugestaltung und Zentralisierung vertrieblicher Organisationen, ist eine erfolgreiche Zentralisierung nicht eine Frage des Grades und des Inhaltes der Veränderungen sondern vielmehr der Umsetzung und Implementierung.
Das beste Konzept wird nicht erfolgreich sein wenn die Implementierung nicht akribisch vorbereitet und vor allen Dingen konsequent vorangetrieben wird. Die kritischen Erfolgsfaktoren kann man auf wenige Punkte zusammenfassen:
- Detaillierter und „zu Ende gedachter“ Transformations- und Personlflussplan
- Aufbau und Entwicklung der Readiness der zentralen Funktionen vor Beginn des Abbaus der dezentralen Funktionen
- Frühe Einbindung der relevanten Manager und Leistungsträger
- Erfahrene Projektleiter mit hohem operativen Verständnis
- Frühe, klare und regelmäßige Kommunikation
- Risikomanagement – Was tun wir, wenn der Wettbewerb versucht die Situation für sich zu nutzen
- Retention Management: Wie identifizieren wir unsere Leistungsträger und wie nehmen wir diese mit?
Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass Konzepte die bei einem Unternehmen sehr gut funktionieren sich im eigenen Unternehmen automatisch als ähnlich erfolgreich erweisen. Trotzdem trifft man In der Praxis vielfach auf Manager, die genau diesem Weg folgen und ihre Erfahrungen aus anderen Unternehmen als „blue print“ in ihrer neuen Organisation umsetzen oder als Follower dem Marktführer hinterhereilen.
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