Schon wieder "Me too"?!

 

25.08.2023 | Artikel von Dagmar Strehlau

 

Die „Me too“ Diskussion ist ein Thema, das uns nun schon einige Zeit begleitet und uns auch weiter begleiten wird. Es ist kein schönes Thema und als Geschäftsführer, Führungskraft, HRler oder auch von Seiten des Betriebsrates möchte man es nie auf dem Schreibtisch haben. Seminare zu diesem Thema habe ich schon mit der Frage „Wer hat sich eigentlich mit Begeisterung und Freude zu dieser Veranstaltung angemeldet?“ begonnen. Die Reaktion bei den Teilnehmern war entsprechend verhalten.


Was verstehen wir unter „Me too“?

Was die „Me too“ Debatte so schwierig macht, ist, dass wir es mit einer sehr individuellen Sichtweise zu tun haben. Das Psychologische Lexikon (Dorsch) definiert sexuelle Belästigung wie folgt (Auszüge):

„Belästigung, die sich auf das Geschlecht der betroffenen Person bezieht und damit eine Form von Diskriminierung und i. S. des allg. Gleichbehandlungsgesetzes rechtswidrig ist. Sexuelle Belästigung umfasst beleidigendes, ausgrenzendes oder kontraproduktives Verhalten, das dazu dient, Personen auf ihr Geschlecht zu reduzieren oder aufgrund ihres Geschlechts abzuwerten, …; abzugrenzen von sexuellem Missbrauch sowie körperlicher Gewaltanwendung. Unter psychologischen Gesichtspunkten ist das negative Erleben der Zielperson ausschlaggebend, eine Absicht, sexuell zu belästigen, wird nicht vorausgesetzt.“

Gerade dieser letzte Aspekt macht die Themenstellung so schwierig: Wann etwas unangenehm und verletzend empfunden wird kann eine sehr individuelle Sichtweise sein. Natürlich gibt es eindeutige Fälle, aber viele Situationen liegen in Grenzbereichen. Mir sind Beispiele aus meiner Praxis bekannt, in der in einer Runde von zehn Workshop Teilnehmern, einer eine Situation als sexueller Belästigung empfunden hat, die anderen Teilnehmer empfanden es nicht so. Dies zeigt, wie wichtig es ist jedem die Möglichkeit zu geben, sein individuelles Missbehagen in angemessener Form zu äußern. Ist der Fall eindeutig, muss natürlich möglichst schnell auch juristisch agiert werden, aber auch die anderen Fälle müssen beachtet und ernst genommen werden.

Dies gilt aber nicht nur für den Bereich der sexuellen Belästigung, sondern für alle Fälle in denen es um eine empfundene Diskriminierung und Ausgrenzung geht, egal ob es sich auf das Geschlecht, Alter, Nationalität, Behinderung etc. bezieht.

 

Welche Auswirkungen haben solche Fälle auf die Betroffenen?

Auch hier sind die Konsequenzen individuell, einige verarbeiten die Erlebnisse recht gut, andere erkranken entweder psychisch oder physisch:

  • Psychische Reaktionen können z. B. Scham, Ekel, Verlegenheit, Selbstvorwürfe sein. Die Reaktion kann aber auch noch tiefer gehen und zu Depressionen, Angst und Traumata führen
  • Mögliche physische Symptome können Verspannungen, Rückenbeschwerden, Migräne und Magenbeschwerden sein. Hier ist der Aspekt der Psychosomatik zu beachten
  • Die Konsequenzen für das Unternehmen können erhöhte Krankheitstage, Rückzugsverhalten, Leistungsminderung etc. sein, es kann sich aber auch auf das Team auswirken und so das ganze „soziale Gefüge“ eines Unternehmens beeinträchtigen. Dringt es nach außen, muss mit einem starken Imageschaden gerechnet werden, Mitarbeiter „schämen“ sich für das Unternehmen zu arbeiten, eine Kündigungswelle kann einsetzen und vieles mehr

 

Was kann man als Unternehmen tun?

Unternehmen stehen viele Möglichkeiten zur Verfügung, „Me too“ Themenstellungen präventiv anzugehen. Ist der Fall doch eingetreten, ist es wichtig, ein Maßnahmenpaket zu Verfügung zu haben, dass die genaue Vorgehensweise vorgibt.
Präventiv sollte ein Unternehmen sich mit folgenden Themen (Auswahl) auseinandersetzen:

Unternehmenskultur: Ist eine Unternehmenskultur verankert, die einen angemessenen, respektvollen und nichtdiskriminierenden Umgang miteinander prägt, ist schon eine gutes Maßnahmepaket geschnürt. Die Unternehmenskultur muss mit einer Definition einer Workplace Policy es ermöglichen, dass sexuelle (oder diskriminierende) Grenzverletzungen vermieden werden, potenzielle Opfer in die Lage versetzt werden, selbstbewusst auf solche zu reagieren und andere (Zeugen) dazu ermutigen werden, einzugreifen.

Anlaufstellen: Ansprechpartner müssen benannt, Prozesse definiert und die Mitarbeiter darüber informiert werden, Verantwortlichen müssen Plattformen zur Verfügung gestellt werden, um über diese Anlaufstelle zu informieren.

Whistle Blower Hotlines: Diese müssen nicht nur eingerichtet, sondern auch gepflegt werden. Mit der Installation ist es nicht getan, hier muss aktiv daran gearbeitet werden. Ansonsten verpuffen solche Hotlines recht schnell, da die Hilfesuchenden spüren, dass es keine Reaktion gibt.

Personal-/ Führungskräfteentwicklung: Führungskräfte und Mitarbeiter müssen geschult werden, um ein besseres Bewusstsein für diese Themenstellungen zu entwickeln. Trainingsthemen wie „Unconscíous Bias“ müssen als ein elementarer Bestandteil in die Weiterbildung einfließen.

Vorbildfunktion des Managements: Der verantwortungsvolle Umgang mit dieser Themenstellung sollte in der Geschäftsführung, im Management, Aufsichts- sowie Beirat etc. verankert sein: hier sitzen die Vorbilder an denen sich alle anderen orientieren. Idealerweise setzt man schon im Recruitingprozess ein Augenmerk auf Werte, Einstellungen, Sozialkompetenz etc..

Workplace Policy: Eine gelebte „Workplace Policy“ (klares Regelwerk für den Umgang miteinander) muss auch entsprechend ins Unternehmen getragen werden: Marktplätze, Workshops, Trainings, Wei-terbildung, Broschüren, Plakate, etc. können hier weiterhelfen. Eine solche Kultur einzurichten, heißt es aktiv anzugehen. Eine reine „Make up“ Funktion in Form von Broschüren, führt zu keinem Ergebnis.

Infrastruktur: Auch im Bereich der Infrastruktur kann z. B. durch Schaffen von Frauenparkplätzen, einer „open-door-policy“ etc. vieles getan werden.

 

Ist der Fall eingetreten, muss ein vordefinierter Prozess angegangen werden. Beginnend mit einer Möglichkeit den Fall bei dem Verantwortlichen (Anti-Diskriminierungsstelle, HR, Betriebsrat, Führungs-kraft, Whistle Blower Hotline) zu melden. Dann müssen vertrauliche Gespräche mit dem Betroffenen und mögliche Zeugen geführt werden. Idealerweise werden Mobbingtagebücher geführt, um den Fall besser zu verstehen. Im Anschluß muss der mögliche Täter befragt werden. Danach sollten die entsprechenden Schritte eingeleitet werden. Dies kann sehr unterschiedlich ausfallen, manchmal ist ein klärendes Gespräch zwischen allen Parteien ausreichend, in anderen Fällen ist die Einschaltung eines Juristen unumgänglich.

 

Was sollte man noch beachten?

  1. Auch wenn jemand beschuldigt wird - Keine Vorverurteilung! Erst müssen alle angehört werden!
  2. Als Ansprechpartner muss man neutral bleiben! Daher ist die Beurteilung aus der Sicht eines neutralen Dritten zu empfehlen
  3. In jedem Fall konsequentes Nachverfolgen, der Vorfall muss ernst genommen werden und auch juristisch unkritische Fälle sollten adressiert werden
  4. Unterschiedliche Wahrnehmung allen Parteien deutlich machen
  5. Auf „Victim Blaming“ achten, den Vorfall auch im Nachgang im Auge behalten. Dieser Aspekt ist elementar, Opfer dürfen nicht zu Tätern gemacht werden. Dies betrifft auch Zeugen. Diejenigen, die die Erfahrung gemacht haben, dass das Melden einer Diskriminierung oder sexuellen Belästigung (egal ob als Opfer oder Zeuge), zu einer weiteren Diskriminierung führt, werden sich nie wieder melden und dies wird auch wieder auf andere ausstrahlen. Damit wird ein Unternehmen nicht lernen können adäquat mit solchen Themen umzugehen

 

 

Quellen:
1.Dorsch, Lexikon der Psychologie: dorsch.hogrefe.com/stichwort/sexuelle-belaestigung

 

 

Quellen

[1]  Vgl: Kießling-Sonntag, J. (2007): Meetings und Moderation.

  

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